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Jüdisches Leben in der BRD

Vortrag ,Jüdisches Leben in der BRD‘ von Frau Linde- Weiland am 6. Februar 2013 im Rahmen des Projekts ,Trialog der Kulturen‘

Ein Bericht von Christian Deschauer

Aus erster Hand konnte Frau Weiland, die bis 2007 langjährige Vorsitzende der jüdischen Gemeinde in Fulda war, der Schulgemeinde der Richard- Müller- Schule in einem bis auf den letzten Platz gefüllten Handelszentrum über geschichtliche Entwicklungen des Judentums in Deutschland, jüdisches Leben und religiöse Bräuche berichten. Ihr Hauptanliegen war es jedoch, uns bezüglich der Gefahren von immer noch bzw. wieder aufkommenden antijudaistischen Vorurteilen und Stimmungen zu sensibilisieren, auf welche zum Schluss noch einmal gesondert eingegangen wird. Aufgrund des Facettenreichtums und komplexen Niveaus ihres Vortrags können im Folgenden bloß exemplarisch einige Aspekte bzw. Themenschwerpunkte wiedergegeben werden. Frau Weiland trug vor, dass in Fulda vor Beginn der Machtergreifung Hitlers 1933 rund 3 Prozent der Stadtbevölkerung mit jüdischem Glauben das (jüdische) Leben prägten, welches in Folge der Terrorisierung, systematischen Entrechtung und des Völkermords nach Deportation durch die Nationalsozialisten mit Beginn der 1940er Jahre völlig ausgelöscht wurde. Bis zu einem Drittel der in Fulda ansässigen deutschen Juden konnten rechtszeitig, das mörderische Ansinnen des NS- Regimes an ihnen vorausahnend, zumeist in das amerikanische Ausland emigrieren. Deutschlandweit lebten vor Beginn der Schoa zwischen 500.000 und 600.000 Juden, nach Kriegsende 1945 nur noch 15.000 Juden. In Fulda wurde im September 1945 die neue ,Jüdische Gemeinde‘ begründet. In der Folgezeit lebten etwa 300 bis 350 jüdische Personen in Fulda, die aus den verschiedenen Lagern kamen.

Die aktuelle Situation kann mit dem Jahr 1987 angesetzt werden, in welchem das Gebäude ,Von- Schildeck- Straße 13‘ – eine ehemalige Schule, die als einzige jüdische Immobilie während der NS- Diktatur nicht arisiert wurde und in städtischen Besitz übergegangen ist – der jüdischen Gemeinde zur Nutzung übergeben wurde: es beherbergt heute das jüdische Kultur-zentrum mit Synagoge sowie sind ein Museum und eine Bibliothek untergebracht. In den 1990er-Jahren erhielt die Gemeinde kräftigen Zuwachs durch jüdische Familien, die „nach der Wende" aus Osteuropa und der ehemaligen Sowjetunion zugezogen sind. Die Gemeinde zählt zurzeit etwa 450 Mitglieder und wird von einem Kasseler Rabbiner betreut. Im Folgenden berichtete Frau Weiland u. a. von den Synagogen-Namen, die auch auf den späteren Grabsteinen zu finden sind: Sie selbst heißt dem zu Folge ,Lea bat Abraham‘ - Lea, die Tochter des Abrahams, des Stammvaters der drei monotheistischen Weltreligionen, – Judentum, Christentum und Islam – so dass wir schon aufgrund unserer gemeinsamen geschwisterlichen Herkunft zu einem toleranten, respektvollen, freundschaftlichen Umgang verpflichtet sind. In diesem Sinne hat Frau Weiland auch ihre Kinder kosmopolitisch und interreligiös tolerant erzogen.

In diesem Zusammenhang informierte sie auch über die jüdische Friedhofstradition, bei der die Toten möglichst ohne Sarg (Vorschrift der Erdbestattung) beerdigt werden und die Gräber und Grabsteine über Generationen hinweg bestehen bleiben, da nach jüdischem Glauben der Tote bis zu seiner leiblichen Auferstehung am ,Jüngsten Tage‘ im Grab ruht. Blumenschmuck ist in der jüdischen Tradition nicht üblich, stattdessen werden kleine Steine auf die Grabplatten gelegt. Zu den jüdischen Speisegesetzen führte Frau Weiland aus, dass zwischen koscheren, also für den Verzehr erlaubten, und nicht- koscheren Lebensmitteln unterschieden wird. Nach dieser Regelung sind von den Tieren nur solche als koscher zu betrachten, die zweigespaltene Hufe haben und Wiederkäuer sind (zum Beispiel Rinder, Schafe, Wild). Somit ist beispielsweise Schweinefleisch als nicht koscher, einzustufen, da Schweine zwar gespaltene Hufe haben, aber nicht wiederkäuen. Ebenfalls seine Basis in der Tora, den Fünf Büchern Mose, hat das Verbot des Blutgenusses: nach dieser Vorschriften muss das (koschere) Tier geschächtet werden, damit das Blut des Tieres möglichst vollständig heraus fließt.

Am Ende ihres Vortrags kamen u. a. Nachfragen zu ihrer Einschätzung des so genannten ,Holocaust- Denkmals‘ in Berlin auf (ein 2005 in der Nähe des Brandenburger Tors in Berlin fertig gestellten Mahnmals für die unter der Herrschaft der Nationalsozialisten während der Schoa ermordeten Juden, das aus über 2700 Betonquadern besteht). Pointiert verdeutlichte Frau Weiland dabei, dass es buchstäblich nicht reicht, einmal über den Mord an den Juden nachzudenken, sondern dieser eines stetigen und wachsamen ,In- Erinnerung- Rufens‘ bedarf. Gerade im Rahmen ihrer langjährigen Tätigkeit als Vorsitzende der jüdischen Gemeinde in Fulda wurde sie immer wieder mit antijudaistischen Vorurteilungen, Verleum-dungen, dabei u. a. nächtlichen Drohanrufen oder verunglimpfenden Briefen konfrontiert. Dieses Phänomen tritt ihren leidvollen Erfahrungen zu Folge in allen gesell-schaftliche Schichten auf, am sinnfälligsten unter so genannten. ,Neonazis‘, aber auch nicht weniger gefährlich, wenn auch subtiler kommuniziert unter Akademikern. Gegenwärtige antijudaistische Stimmungen können dadurch entstehen, dass im Zuge bereits erwähnten Zulaufs osteuropäischer Juden in die Gemeinden seit Anfang der 1990er Jahre z. B. eine Synagogenführung für Schulklassen von einem Juden mit osteuropäischen Migrationshintergrund geleitet wird, der gut möglich noch im Begriff einer sprachlichen Vervollkommnung ist. Somit können unter Schulkindern Vorurteile entstehen, dass Juden gar kein (richtiges) ‚Deutsch‘ sprechen können.

Frau Weiland konnte uns einen interessanten Eindruck über jüdische Kultur und Bräuche vermitteln. Vor allem hat aber ihr gegen Ende des Berichts bloß angedeuteter Einblick in die bis heute hineinragende Geschichte des Rufmords gegenüber Juden fassungslos gemacht. Es bleibt schließlich zu hoffen, dass ihr Vortrag, der unter der Schulgemeinde große Aufmerksamkeit und Zustimmung hervor-gerufen hat, dazu beitragen kann, dass wir unser eigenes Denken und das unseres Umfelds immer wieder kritisch im Sinne eines friedlichen, offenen und freundschaftlichen Trialogs der Kulturen hinterfragen. Dabei gilt es insbesondere, gegenüber antijudaistischen Vorurteilen und Stimmungen wachsam zu bleiben und gegebenenfalls auch zu tatkräftiger Zivilcourage bereit zu sein.